Alt- und Neustadt Hamburg: Geschichtliche Einblicke
Bodo Werner
Collage nach Joachim Luhn (1640-1717): Stadtansicht von Hamburg 1681
Etwa 2015 fiel mir zufällig das 1844 erschienene und 1978 neu aufgelegte Buch Hamburg's Gedenkbuch – eine Chronik seiner Schicksale und Begebenheiten, bearbeitet von Fr. Clemens in die Hände. Ich las es mit großer Begeisterung. Der Stil ist eine Mischung aus Satire, beißender Kritik (vor allem an der Intoleranz orthodoxer Lutheraner), Poesie, Polemik und Ironie, siehe Kostproben. Über den Autor gibt es in dem Werk keine Hinweise. Heute weiß ich, dass es sich um Friedrich Clemens Gerke (1801-1888), einen ungemein vielseitigen Musiker, Dichter, Journalisten, Verfasser von unzähligen Traktaten und Büchern zu unterschiedlichsten Themen, Anhänger der Aufklärung, Sozialkritiker und Pionier der Telegrafie (!) handelt, der in ärmsten Verhältnissen aufwuchs und sich sein reiches Wissen als Autodidakt angeeignet hat, siehe auch Friedrich Gerke (Wikipedia) . Gerke ist ganz gewiss kein Historiker, die Abfassung dieses immerhin 860 Seiten umfassenden Werkes (ohne Quellenangaben) war offensichtlich für ihn eher eine Nebenbeschäftigung. Dennoch: Ich war von seinem Werk so angetan, dass ich beschloss, mich an Hand dieses Buches in die Geschichte Hamburgs einzuarbeiten und dies in einer Schrift mit vielen wörtlichen Formulierungen festzuhalten, aber auch Erläuterungen hinzuzufügen, die aus anderen Quellen (Wikipedia, E. Kleßmann: Geschichte der Stadt Hamburg) stammen. Später wurde ich von Jörg Berlin auf eine Würdigung von Friedrich Clemens Gerke durch Hans Brecht (1923-2007) aufmerksam, die anlässlich des 200. Geburtstages von Gerke in der Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Bd 86, erschien. Ich habe aus der digitalen Online-Version eine besser lesbare pdf-Version erstellt und um einige Bemerkungen ergänzt: Hans Brecht: Friedrich Clemens Gerke, ein fast vergessener Hamburger Schriftsteller und Erfinder
Es geht um die Auseinandersetzungen zwischen Hamburg und Dänemark, deren Könige ab 1460 auch Herzöge des Hamburg benachbarten Herzogtums Holstein waren. Diese waren Rechtsnachfolger der Schauenburger Grafen, denen Hamburg als Grafen von Holstein bis 14160 „gehörte“ (Hamburg war einst Teil von Stormarn), auch wenn die Stadt durch zahlreiche Rechte („Privilegien“) faktisch eine freie Stadt war. 1640, als der letzte Schauenburger Graf starb, fiel dessen Grafschaft Holstein-Pinneberg mit Altona an das Haus Holstein – der König von Dänemark regierte somit in unmittelbarer Nachbarschaft von Hamburg. Als Nachfolger der Schauenburger Grafen verlangten die Könige Dänemarks wiederholt die Erbhuldigung Hamburgs, welche sich jedoch mit dem Status einer Freien Reichsstadt, wie sie schon 1510 von Kaiser Maximilian erklärt wurde, nicht vertrug. Der hiermit verbundene Rechtsstreit wurde schließlich 1618 vom Reichskammergericht entschieden, dessen Urteil diesen Status bestätigte. Der dänische König Christian IV. erkannte dieses Urteil nicht an und bestritt auch die Hoheitsrechte Hamburgs auf der Unterelbe (Elbprivileg) das 1189 Kaiser Barbarossa ausgesprochen haben soll, und das 1428 von Kaiser Friedrich III. und zu Zeiten des 30jährigen Krieges von Kaiser Ferdinand II. bestätigt wurde. In Christians Amtszeit eskalierte der Konflikt zwischen Hamburg und Dänemark. Christian IV. (König 1588- 1648), gründete Glückstadt 1617 und behinderte den Hamburger Handel durch einen dort erhobenen Elbzoll. Es kam deshalb 1630 und 1643 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Hamburg und Dänemark. Ein weiterer militärischer Konflikt ereignete sich 1686, als Christian V. Hamburg belagerte. Diese Belagerung stand in einem engen Zusammenhang mit Auseinnandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft, der Hamburgs Innenpolitik über viele Jahrhunderte begleitete, aber im 17. Jahrhundert eskalierte (Stichwort: Meurer-Schnittger-Jastram-Wirren). Der Gottorfer Vertrag von 1768 beendete die hamburgisch-dänischen Auseinandersetzungen und bestimmt daher auch das zeitliche Ende dieser Schrift
Hamburgs Geschichte, ab dem Jahr 1100, beginnt mit den Grafen von Schauenburg-Holstein. Die Grafschaft Schauenburg (später Schaumburg) hat ihren Stammsitz an der Weser, sie wird 1110 vom späteren Kaiser Lothar III. mit den Grafschaften Holstein und Stormarn, auf deren Boden Hamburg liegt, belehnt. Der erste Graf von Holstein-Schauenburg ist Adolf I. (1130†). Ihm folgt nacheinander seine Söhne Adolf II.- Adolf IV. Adolf III. gilt als Gründer der gräflichen Neustadt im Jahr 1187, die Trostbrücke (hier befindet sich eine Statue) verbindet diese mit der erzbischöflichen Altstadt. Die nachfolgenden Generationen der Schauenburger herrschen bis 1460 in Holstein und teilweise auch im Herzogtum Schleswig, bevor der dänische König Christian I., ein Neffe des letzten Grafen Adolf VIII. von Schauenburg-Holstein, dessen Nachfolge sowohl in Holstein als auch in Schleswig antritt. Das Nesselblatt im Schauenburger Wappen ist noch heute im Wappen Schleswig-Holsteins und vielen ihrer Städte präsent.
Hamburg ist zu Beginn eine Bischofsstadt, gegründet vom Bischof Ansgar, geografisch durch die erzbischöfliche Altstadt bestimmt. Hamburg „gehört“ bis zum Tod von Adolf VIII. im Jahr 1459 den Grafen von Holstein-Schauenburg. Die Macht geht jedoch allmählich an die Stadt über, die von einem Rat unter Mitbestimmung einer Bürgerschaft regiert wird. Hamburg ist eine Republik. Das 14. Jahrhundert ist die Blütezeit der Hanse, deren Kopf die freie Reichsstadt Lübeck ist. Dänemark versucht mit der Einführung des Sundzolls 1429 den Einfluss der Hanse zurückzudrängen, es kommt zu dänisch-hanseatischen Kriegen, an denen auch die Schauenburger Grafen mit Hamburg auf Seiten der Hanse beteiligt sind. Christian I., König von Dänemark, wird im Vertrag von Ripen 1460 Rechtsnachfolger der Schauenburger Grafen in Holstein. Dies ist der Grund für zahlreiche zukünftige Versuche der dänischen Könige, von Hamburg die Erbhuldigung zu erlangen. Hamburg jedoch will seine Freiheit bewahren und betreibt bis zum Gottorper Vertrag 1768 eine Schaukelpolitik zwischen Kaiser und Reich einerseits, dem sie sich (jedenfalls zeitweise) als Freie Reichsstadt zugehörig fühlt, und dem dänischen König, Herzog von Holstein, andererseits. Die Auseinandersetzungen zwischen Hamburg und Dänemark werden vor allem von den dänischen Königen Christian IV. und Christian V. geprägt, wobei es auch zu kriegerischen Konflikten kommt.
Margarete I.(1353-1412) führte die Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden in der Kalmarer Union zusammen, die bis 1523 Bestand hat. Ihr Großneffe Erik VII. führt 1429 den Sundzoll ein. Dieser ist der Grund für hansisch-dänische Kriege, die Befreiung vom Sundzoll ist das Ziel der Hanse. 1460, im Vertrag von Ripen, wird der dänische König Christian I. Nachfolger der Grafen von Schauenburg-Holstein in Holstein und Schleswig. Bis zum Jahr 1864 sind die dänischen Könige auch die Herzöge in Schleswig und Holstein. Erst der Gottorper Vertrag beendet die Konflikte zwischen Hamburg und Dänemark, die sich auf die Erbhuldigung, die Reichsunmittelbarkeit Hamburgs und das Hamburger Elbprivileg beziehen. Es gibt zahlreiche nordische Kriege zwischen Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Im Torstenssonkrieg, einem Teilkrieg des 30jährigen Krieges, verliert Dänemark unter Christian IV. seine Großmachtstellung an Schweden - Hamburg ist der Profiteur, da mit dem Frieden Von Bromsebro auch der Elbzollin Glückstadt ein Ende findet.
Der dänische König regiert als Herzog das Herzogtum Holstein als Nachfolger der Schauenburger Grafen, denen Hamburg "gehörte". Darauf basieren die wiederholten Forderungen der dänischen Könige nach Erbhuldigung und der Rechtsstreit um die Reichsunmittelbarkeit Hamburgs. Auch der Zusammenhang Holsteins mit den Herzogtümern Schleswig und Schleswig-Holstein Gottorf kommt zur Sprache.
Als 1459 der letzte Holstein-Schauenburger Graf Adolf VIII., Graf von Holstein und Herzog von Schleswig, stirbt, bleibt nur die kleine Grafschaft Holstein-Pinneberg, zu der auch Altona gehört, im Besitz der Schauenburger, die neben Holstein-Pinneberg auch die Grafschaft Schaumburg an der Weser regieren. Diese Nebenlinie der Schauenburger bleibt bis 1640 bestehen, als mit Otto VI. der letzte Schauenburger Graf stirbt. Christian IV., König von Dänemark und Herzog von Holstein und Schleswig, bemächtigt sich der Grafschaft im Handstreich.
Die Auseinandersetzungen Hamburgs mit Dänemark hat vor allem mit der Frage zu tun, ob Hamburg als Freie Reichsstadt nur dem Kaiser untertan, also reichsunmittelbar45 ist, oder als in Holstein gelegene Stadt dem König von Dänemark als Herzog von Holstein untertan ist.
Die Entwicklung der Stadt Hamburg ist undenkbar ohne ihre Bedeutung als Hafenstadt an der Elbe, auf der die Stadt einige kaiserliche Rechte und Privilegien zu haben glaubt. Der wahrscheinlich gefälschte Freibrief von Kaiser Barbarossa aus dem Jahr 1189 gewährt Hamburg die Zollfreiheit auf der Niederelbe bis zur Elbmündung. Dies ist den dänischen Königen als Herzog von Holstein ein Dorn im Auge.
Christian IV., dänischer König von 1588 bis 1648 (laso auch während des 30jährigen Krieges), kann als der Hauptakteur der Auseinandersetzungen Dänemarks mit Hamburg angesehen werden. Er ist es, der das Urteil des Reichskammergerichts 1618 nicht anerkennt, das Hamburg zur reichsunmittelbaren Reichsstadt erklärt. Er gründet 1617 Glückstadt und beschwört mit dem dortigen Elbzoll Krieg mit Hamburg herauf. Ihm gelingt es, den Handel Hamburgs 1643 durch dänische Truppen vor Hamburg vollends zu blockieren.
Schweden ist nur indirekt in die Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Hamburg involviert. Aber als Erzfeind Dänemarks und durch die zeitweilige Allianz mit Schleswig-Holstein-Gottorf ist Schweden für Hamburg von Bedeutung. Der Westfälische Frieden 1648 führt zum Erwerb von Bremen-Verden, Wismar, Vorpommern (oder auch Westpommern oder Schwedisch-Pommern) und anderen Gebiete durch Schweden. Schwedens Vormachtstelllung in dem Ostseeraum endete mit dem Großen Nordischen Krieg (1700-1721), in dessen Verlauf Altona in Brand gesetzt wurde.
Richtig kompliziert wird der Konflikt zwischen Dänemark (Christian IV.) und Hamburg durch die Einbettung in den 30-jährigen Krieg mit den Mächten Schweden, Frankreich, Spanien, Holland, England und insbesondere mit dem Reich (HRR). Hinzu kommen ganz unterschiedliche Beziehungen zu den deutschen Nachbarländern, den Herzogtümern Braunschweig-Lüneburg, Mecklenburg, Bremen-Verden, Sachsen-Lauenburg sowie den Reichsstädten Lübeck und Bremen. Durch die 1615-1626 von Johan van Valckenburgh erbaute, Befestigungsanlage mit 22 Bastionen konnte Hamburg sich wirkungsvoll schützen.
Christian V. macht sich den Konflikt zwischen Rat und Bürgerschaft zwischen 1660 und 1686 (Meurer-Snitger-Jastram-Wirren) zunutze. 1679 belagert er Hamburg, zieht seine Truppen jedoch ab, nachdem Hamburg 220.000 Taler gezahlt hatte.
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